Notwehr und Anhalterecht

In Notwehr handelt, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren. Die Handlung ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn es offensichtlich ist, dass dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist.

Jeder rechtswidrige Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut, auch ein sogenannter Bagatellangriff, begründet eine Notwehrsituation, allerdings auch nur in Form einer Bagatellabwehr. Die Abgrenzung der Bagatelle ist mitunter schwierig und anhand bisheriger Judikatur auszumachen: Das an den Kleidern Fassen und Zurückdrängen wurde noch als Bagatellangriff gewertet, der keine Faustschlägen als Verteidigung rechtfertigt, da bloß ein Angriff auf die Freiheit, im Sinne der §§ 99 ff StGB, angenommen wurde. Wird jedoch ein Angriff geführt, der, in der gebotenen ex-ante-Betrachtung, die Verletzungsfolgen im Sinne des § 83 StGB, also Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung, befürchten lässt, dann wurde einen „Nachteil mit typischem Bagatellcharakter“ verneint und der Verteidiger zur Abwehr im Rahmen des Notwendigen ermächtigt erachtet.

Ob ein Angriff vorliegt, wird nach objektiven Kriterien beurteilt. Dabei kommt dem Gericht entscheidende Bedeutung zu, was aufgrund differenter oder fehlender Milieuerfahrung sehr problematisch sein kann.

Der Angriff muss rechtswidrig sein, was anhand der gesamten Rechtsordnung zu beurteilen ist, nicht bloß anhand der Strafgesetze.

Auch eine initiative (aktive) Notwehr ist zulässig, wenn anders die Möglichkeit bestehender Angriffe nicht gebannt werden kann, der Angriff als Verteidigungsmittel, also das allein geeignete Mittel darstellt, um dem Angriff des Gegners zuvorzukommen, um den Angreifer sogar gegebenenfalls kampfunfähig machen zu könne.

Aus dem anerkannten Grundverständnis der „notwendigen Verteidigung“ ergibt sich die Berechtigung zur sofortigen verlässlichen und endgültigen Abwehr des Angriffs und damit grundsätzlich auch zur initiativen (aktiven) Verteidigung.

Der OGH erachtete einen Faustschlag in das Gesicht jenes Angreifers, der nach einem zuvor geführten eigenen Faustangriff den Verteidiger am Hals gepackt und gewürgt hat, als zur Verteidigung erforderlich. Weiters hat der OGH sogar die Beantwortung einer Ohrfeige mit einer brutalen Schlagserie gegen Kopf und Gesicht des Angreifers deshalb für gerechtfertigt angesehen, weil – in Hinblick auf die erwartete Fortsetzung der Tätlichkeiten durch den Angreifer – der Verteidiger diesen sofort durch Schläge mit der bloßen Hand kampfunfähig oder kampfunlustig machen dürfe.

Nach § 80 Abs 2 StPO hat jeder Bürger, der von einer strafbaren Handlung Kenntnis erlangt das Recht eine Person, die eine strafbare Handlung begeht oder von der er durch begründeten Verdacht annimmt, sie stehe im Zusammenhang mit einer solchen, das Recht diese Person verhältnismäßig bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten und Gewalt mit angemessener Gegengewalt abzuwehren. Die Person muss die Behörde aber ohne unnötigen Aufschub sofort hierüber in Kenntnis setzten, ansonsten handelt sie rechtswidrig. Gegen das von der Rechtsordnung erlaubte Anhalterecht ist keine Notwehr zulässig.

Die Freiheit einer Person zählt zu den absolut geschützten Rechtsgütern und darf einer Person nur unter den im Gesetz bestimmten Umständen entzogen werden. Das Festhalten einer Person erfüllt ab einer Mindestdauer von 10 Minuten den Tatbestand der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB. Geschieht dies jedoch bloß zum oben genannten Zweck, ist der Täter gerechtfertigt.

Das private Anhalterecht ist jedoch nur zulässig, wenn vom Angehaltenen eine gerichtlich strafbare Handlung begangen wurde oder ein Grund zur Annahme besteht, dass er sie begangen hat. Gerichtlich strafbare Handlungen sind nur Taten, die in den Bereich des Strafrechts fallen. Verwaltungsübertretungen fallen nicht darunter, hierfür ist kein Gericht sondern eine Behörde zuständig. Demnach handeln Kontrolleure, die Schwarzfahrer in Straßenbahnen festhalten und so am Weglaufen hindern, nicht im Sinne des privaten Anhalterechtes, da die StPO gemäß § 1 Abs 1 letzter Satz nur bei gerichtlichen Straftaten Anwendung findet.